Besser aber auch wirklich gut genug?
07.02.2025
Die Verhandlungen um das EU-Dossier zwischen Bern und Brüssel sind offiziell abgeschlossen. Offen ist die innenpolitische Umsetzung allfälliger Begleitmassnahmen im Rahmen des Sozialpartnerdialogs. Im Vergleich zum Institutionellen Abkommen (InstA) ist das vom Bundesrat 2024 erzielte Ergebnis besser.
Nach Einschätzung des Bundesrates ist das Verhandlungsmandat mit der EU „auf der ganzen Linie erfüllt“ und das am 20. Dezember 2024 in der Form von Merkblättern kommunizierte Ergebnis positiv. Für die Schweiz ist ein massgeschneiderter Zugang zum EU-Binnenmarkt wichtig. Die EU fordert demgegenüber die Integrität ihres Binnenmarktes, die gleiche Regeln für alle Teilnehmenden verlangt. Mit dem Paketansatz kann diese Balance gemäss Bundesrat erreicht werden.
Dies ist aber nur die eine Seite. Den genauen Inhalt des in Brüssel verhandelten Pakets werden wir erst im Juni mit der Vernehmlassungsvorlage kennenlernen. Was noch fehlt ist das Ergebnis des parallellaufenden innenpolitischen Sozialpartnerdialoges. Diesbezüglich hat sich der Schweizerische Gewerbeverband sgv zur Maxime gemacht, keine Ausweitung der flankierenden Massnahmen zu akzeptieren.
Besser als das Institutionelle Abkommen
Das Institutionelle Abkommen (InstA), dessen Verhandlung der Bundesrat Ende Mai 2021 abgebrochen hatte, was der sgv als „Akt der Vernunft“ bezeichnete, beinhaltete eine Guillotine-Klausel. Es sah vor, dass mit der Kündigung ein dreimonatiger Konsultationsprozess beginnt. Hätte keine Lösung erzielt werden können, wären die fünf bestehenden Marktzugangsabkommen (Personenfreizügigkeitsabkommen, Landverkehr, Luftverkehr, technische Handelshemmnisse (MRA) und Landwirtschaft) sowie allfällige neue, die nach Inkrafttreten des InstA abgeschlossen worden wären, nach sechs Monaten ausser Kraft getreten. Das bilaterale Paket zwischen der Schweiz und EU wäre hinfällig geworden. Beim Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen forderte der sgv auch, dass nach einer Verhandlungspause ein neuer Anlauf genommen werden soll.
Nun haben die Verhandlungen in Brüssel mehr ergeben, als dass der sgv damals gefordert hatte. Überdies kennt das neue Verhandlungsergebnis keine Guillotine Klausel mehr, sondern beinhaltet einen sogenannten sektoriellen Ansatz. Die dynamische Rechtsübernahme gilt für das jeweilige bilaterale Abkommen. Bei der dynamischen Rechtsübernahme sind die demokratischen Verfahren der Gesetzgebung zu berücksichtigen. Bei der Weiterentwicklung des europäischen Rechts soll die Schweiz ein Mitspracherecht erhalten. Mit diesem Ansatz fällt das Damoklesschwert einer Kündigung aller Abkommen weg.
Freihandelsabkommen ausgenommen
Die Forderung des sgv, das Freihandelsabkommen auszunehmen, ist erfüllt. Beim InstA war es die Forderung der EU, auch das Freihandelsabkommen von 1972 der dynamischen Rechtsentwicklung zu unterstellen, was der sgv schon während der damaligen Verhandlungen abgelehnt hatte.
Streitbeilegung und Konkretisierung der Schutzklausel noch offen
Bezüglich der Streitbeilegung wurde die Rolle des EUGH zwar präzisiert, aber für den sgv sind die genauen Auswirkungen in der Praxis noch unklar, weshalb noch keine Beurteilung abgegeben werden kann. Im Verlauf des Verhandlungsprozesses hat die Schweiz eine Schutzklausel erwirken können, die bei Verhandlungsbeginn Mitte März 2024 noch nicht Gegenstand des Common Understanding war. Die Schutzklausel besagt, dass bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen die Schweiz mit der EU einvernehmlich oder nicht Schutzmassnahmen erlassen kann. Der sgv unterstützt grundsätzlich dieses Instrument, welches in den letzten Details noch nicht konkretisiert worden ist.
Stunde der Wahrheit in der Vernehmlassung
Derzeit werden die Abkommenstexte juristisch überarbeitet und in alle EU-Amtssprachen übersetzt werden. Bezüglich der Umsetzungs- und Begleitmassnahmen laufen die innenpolitischen Verhandlungen mit den Sozialpartnern weiter. Der Bundesrat wird voraussichtlich im Juni 2025 eine Vorlage im Umfang von rund 1500 Seiten in die Vernehmlassung schicken, welche bis Ende September dauern soll. Danach wird die Vorlage überarbeitet und voraussichtlich im Frühjahr 2026 vom Bundesrat zu Händen des Parlaments verabschiedet. Parallel dazu wird der sgv einen breit abgestützten, verbandsinternen Entscheidungsprozess aufgleisen, dessen Ergebnis heute noch nicht vorausgesehen werden kann.
Dieter Kläy, Ressortleiter