Die Zeit drängt
20.11.2020
Der Bundesrat hat bislang – nicht zuletzt aufgrund des Druckes des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv – auf einen zweiten Lockdown verzichtet. Trotzdem sind immer noch viele Branchen sehr stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Härtefallmassnahmen, wie sie National- und Ständerat in der Herbstsession beschlossen haben, sind deshalb notwendig.
Mit Artikel 12 des Covid-19-Gesetzes haben National- und Ständerat den Bundesrat beauftragt, Einzelheiten zu den Härtefallmassnahmen auf Verordnungsstufe zu regeln. Das Instrumentarium umfasst Darlehen, Bürgschaften, Garantien und nicht rückzahlbaren Beiträgen. Der Bundesrat hat sich dazu entschieden, die Massnahmen in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen zu treffen, da sie die konkreten Fälle besser beurteilen können. Die Covid-19-Härtefallverordnung, zu welcher der sgv im Vernehmlassungsverfahren Stellung genommen hat und die noch im November 2020 definitiv verabschiedet werden soll, legt die Mindestvoraussetzungen fest, die kantonale Härtefallregelungen erfüllen müssen, damit sich der Bund an deren Finanzierung beteiligt. Die Kantone entscheiden, ob sie Härtefallmassnahmen ergreifen und wie sie diese ausgestalten.
Bundesbeitrag viel zu tief
Der Bundesbeitrag an den kantonalen Härtefallmassnahmen ist im Vernehmlassungsentwurf auf CHF 200 Millionen plafoniert worden. Dieser Betrag soll nach kantonalem BIP und Wohnbevölkerung unter den Kantonen aufgeteilt werden. Die Aufteilung des auf CHF 200 Mio. plafonierten Bundesbeitrages (Art. 14) auf die einzelnen Kantone wird zur Folge haben, dass der Kanton Zürich z. B. CHF 39,99 Mio., Bern 23,75 Mio., Waadt 17,57 Mio. und Genf 13,58 Mio. erhalten. Angesichts der Wirtschaftsleistung dieser Kantone, insbesondere mit Blick auf die Wirtschaftszentren Arc Lémanique und Zürich, sind diese Beträge viel zu klein bemessen. Nimmt man die schwierige Situation der besonders betroffenen Branchen wie Gastronomie oder Hotellerie zum Massstab, wird auch das Doppelte dieses Betrages nicht reichen.
Die Praktikabilität wird sich im Detail zeigen
Die Praktikabilität der Voraussetzung, Härtefallmassnahmen überhaupt erst in Anspruch nehmen zu können, zeigt sich im Detail.
Gemäss Verordnungsentwurf beteiligt sich der Bund nicht an den Kosten oder Verlusten, die einem Kanton aus seinen Härtefallmassnahmen für Unternehmen entstehen, an deren Kapital Bund, Kantone oder Gemeinden insgesamt zu mehr als 10 Prozent beteiligt sind. 10 % sind allerdings gerade für touristische Betriebe und Betriebe in Gebirgskantonen, wo Gemeinden und Kantone aus Natur der Sache daran beteiligt sind (Bahnen, Kongresszentren etc.), zu wenig. Viele Betriebe würden mit der 10 %-Regel ausgeschlossen, weshalb nach Auffassung des sgv der Prozentsatz bei 25 festzulegen ist.
Die Umsatzgrenze von 50'000.- im Referenzjahr ist mit CHF 50'000.00 zu hoch angesetzt. Die Grenze müsste bei CHF 30'000.00 angesetzt werden, damit auch Kleinstbetriebe unterstützt werden können.
Der Verordnungsentwurf sieht zudem vor, dass profitable und überlebensfähige Unternehmen seit dem 1. Januar 2019 bis und mit Einreichung des Gesuchs nicht überschuldet sein sollen. Der sgv fordert, dass der Endzeitpunkt auf den 31. Dezember 2019 festgelegt wird. Der Vorschlag des Bundesrates würde in vielen Fällen Härtefallmassnahmen verunmöglichen. In den vergangen 9 Monaten sind trotz umfangreicher Hilfsmassnahmen ganze Branchen an ihre finanziellen und wirtschaftlichen Grenzen gekommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich dabei viele Firmen überschulden. Genau diese, die es ganz besonders nötig hätten, würden von den Härtefallmassnahmen ausgeschlossen.
Der Vorschlag des Bundesrates sieht vor, dass die Unternehmen gegenüber dem Kanton belegen können, dass sie am 15. März 2020 keine Rückstände bei der Bezahlung von Steuerschulden gegenüber Bund, Kantonen oder Gemeinden oder Rückstände bei der Bezahlung der Sozialabgaben hatten. Steuerschulden an einem Stichtag können nicht ernsthaft als Kriterium für die Profitabilität oder Überlebensfähigkeit zum Massstab genommen werden, zumal ja in der ersten Covid-19-Phase (März und April 2020) Zahlungsaufschübe und Verzicht auf Mahngebühren beschlossen wurden.
Eine weitere Voraussetzung gemäss Bundesrat ist, dass das Unternehmen den Covid-19-Kredit vollständig ausgeschöpft haben muss. Der sgv lehnt das ab. Viele KMU-Inhaberinnen und Inhaber, die Zeit ihres Lebens mit knappen Margen und unter hohem Kostendruck gearbeitet, aber nie Kredite bezogen haben, haben auch während der Covid-19-Krise bis Ende Juli 2020 auf die Aufnahme eines Kredits verzichtet. Deshalb ist der Kreditrahmen des Bundes per Ende Juli 2020 bei weitem nicht ausgeschöpft worden. Viele Firmen haben in der Vergangenheit angespart, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Mit dem Vorschlag des Bundesrates würden diese Firmen für ihr vorbildliches Verhalten in der Vergangenheit bestraft. Wichtig für den sgv ist, dass die Härtefallmassnahmen per 1. Dezember 2020 in Kraft treten. Die Zeit drängt.
Dieter Kläy, Ressortleiter