Rechtssicherheit nicht aushöhlen
28.02.2025
Nachdem vergangene Wintersession der Nationalrat die Sammelklagen-Vorlage nicht behandelt hat, soll es in der bevorstehenden Frühjahrssession Anfang März soweit sein. Die Rechtskommission des Nationalrats beantragt Nichteintreten. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv unterstützt das.
Mit einer neuen Revision der Zivilprozessordnung (ZPO) will der Bundesrat die bestehende Verbandsklage ausbauen und künftig auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen ermöglichen. Bereits 2018 hat er im Rahmen einer ZPO-Revision eine kollektive Rechtsdurchsetzung gefordert, ist aber, nachdem er im Vernehmlassungsverfahren mit heftiger Gegenwehr seitens der Wirtschaftsverbände und des sgv konfrontiert war, zurückgekrebst. Seit Dezember 2021 liegt nun eine neue Vorlage auf dem Tisch. Weil nach heutigem Recht in der Schweiz grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche individuell einklagen muss, auch wenn eine Vielzahl von Personen gleich oder gleichartig geschädigt ist, schlägt der Bundesrat die Ausweitung der Verbandsklage vor. Sie soll der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bei sogenannten Massen- und Streuschadensfällen dienen.
Populärbeschwerde vorprogrammiert
Mit dem Gruppenvergleich wird es Geschädigten ermöglicht, über einen Verein eine Entschädigung mit Wirkung für eine Vielzahl von Betroffenen einzugehen. Mit der Verbandsklage soll Geschädigten auch ermöglicht werden, auf ein individuelles Gerichtsverfahren zu verzichten. Damit tragen sie auch kein Kostenrisiko. Damit ein Verband klagen kann, darf er nicht gewinnorientiert sein und muss seit mindestens einem Jahr existieren. Bereits zehn natürliche oder juristische Personen können einen Verband zur Klage ermächtigen. Davon profitieren werden Konsumentenschutzorganisationen und NGOs. Dem Missbrauch wird Tür und Tor geöffnet. Den Nachteil haben die Gewerbetreibenden.
Rechtskommission des Nationalrates erkennt Brisanz
Die Rechtskommission des Nationalrats hat die Brisanz der Vorlage schnell erkannt und diverse Zusatzabklärungen eingefordert. Neben einer Regulierungsfolgeabschätzung und einer rechtsvergleichenden Studie hat sie auch die möglichen Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Angelegenheit der «Klima-Seniorinnen» prüfen lassen. In einer Gesamtschau kommt sie zum Schluss, dass die vorgesehenen Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes nicht zum Schweizer Rechtssystem passen. Der Schweizerische Gewerbeverband beurteil das genauso. Er befürchtet, dass sich kommerziell ausgerichtete Anwaltskanzleien und Organisationen zur Prozessfinanzierung auf die Einreichung von Klagen spezialisieren und den Unternehmen erheblichen Schaden zufügen könnten.
sgv fordert Nichteintreten
Wesentliches Erfolgselement des Wirtschaftsstandortes Schweiz ist seine Rechtssicherheit. Stabile Rahmenbedingungen sind für unsere Unternehmen von zentraler Bedeutung. Der Zivilprozess geht von der Individualität von Kläger und Beklagten aus. Beurteilt wird der Einzelfall. Gesucht wird eine gerechte Lösung. Die ZPO-Revision mit der Ausweitung der Sammelklagen käme einem Paradigmenwechsel gleich. Sammelklagen sind in unserem Rechtssystem sachfremd, schaffen eine Kultur des Misstrauens, werden zum Anziehungspunkt einer Klageindustrie und provozieren eine Verfahrensflut. Auf eine Verpolitisierung des Rechts zu Lasten der Unternehmen nach amerikanischem Vorbild können wir verzichten. Der sgv fordert analog der Rechtskommission des Nationalrates, auf die Vorlage des Bundesrates gar nicht erst einzutreten.
Dieter Kläy, Ressortleiter