Dieter Kläy
Dieter Kläy

Rede zum eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag in der kath. Kirche St. Laurentius, Winterthur - Wülflingen

15.09.2019

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Musikerinnen und Musiker, Sängerinnen und Sänger, geschätzte Festgemeinde

Für die Einladung zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag danke ich ganz herzlich. Als Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche ist es für mich eine ganz besondere Ehre, hier eine Ansprache halten zu dürfen. Das zeigt die gelebte Toleranz, die wir unter den Religionsgemeinschaften pflegen.

Beim Buss- und Bettag handelt es sich nicht um einen kirchlichen Feiertag. Der Dank-, Buss- und Bettag, der jeweils am dritten Sonntag im September in fast allen Kantonen gefeiert wird, ist ein staatlicher, überkonfessioneller Feiertag, der gemeinsam sowohl von der katholischen als auch von den reformierten Kirchen aber auch von der israelitischen Kultusgemeinde und den islamischen Gemeinden gefeiert wird. Der Bettag erinnert daran, dass wir nicht als Einzelne, sondern als Gemeinschaft eine Verantwortung für unser Zusammenleben tragen.

Der erste gesamtschweizerische Dank-, Buss- und Bettag fand am 8. September 1796 statt. An der Tagsatzung vom Juli 1831 stellte der Kanton Aargau den Antrag, den Bettag in allen Kantonen am selben Sonntag zu feiern. Am 1. August 1832 beschloss die Tagsatzung, den Eidgenössischen Buss-, Dank- und Bettag jeweils auf den dritten Septembersonntag zu legen. Damit erhielt der Bettag definitiv eine überkonfessionelle Dimension und wurde zum ersten nationalen Feiertag überhaupt, lange vor dem ersten August.

Mit dem Bettagsmandat, das die Kantone und in deren Auftrag die Landeskirchen verfassten, ist ein verbindendes Element für die verschiedenen Konfessionen über die Kantonsgrenzen hinaus geschaffen worden. Diese Mandate gingen aus religiöser Sicht auf die aktuellen geistigen, sittlichen, aber auch politischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen ein.

Gerade im Kanton Zürich ist der Bettag ein wichtiger Feiertag. Hier sind die von Gottfried Keller verfassten Bettagsmandate bekannt geworden. Das Schreiben dieser Mandate gehörte zu den Amtspflichten Kellers, dessen 200. Geburtstag wir dieses Jahr gedenken. Er war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Staatsschreiber. Diese Bettagsmandate wurden bis 1872 in den Kirchen verlesen. 1872 hatte der Regierungsrat beschlossen, die Durchführung des Bettags dem Kirchenrat zu überlassen.

Für Gottfried Keller war der Buss- und Bettag ein Gewissenstag. 1862 schrieb er: „Wenn in ernster Feierstunde sich jeder von Euch fragen wird: Welches ist mein innerer und sittlicher Wert als einzelner Mann, welches ist der Wert der Familie, welcher ich vorstehe? So stellt er sich diese Fragen, zum Unterschied von den übrigen Festtagen unserer Kirche, vorzugsweise mit Beziehung auf das Vaterland und fragt sich: Habe ich mich und mein Haus so geführt, dass ich imstande bin, dem Ganzen zum Nutzen und zur bescheidenen Zierde zu gereichen, und zwar nicht in den Augen der unwissenden Welt, sondern in den Augen des höchsten Richters?“

Ein Gewissenstag soll der eidgenössische Buss- und Bettag auch heute noch sein. Solidarität und Gemeinsinn sollen gestärkt werden. Der Bettag ist ein willkommener Tag zum Innehalten, dies besonders in einer Zeit, in der sich immer mehr Mitmenschen von der traditionellen Kirche abwenden. «Bescheidene Zier», wie Keller es damals 1862 formuliert hatte, gilt heute in unserer sich rasch verändernden Welt nicht mehr viel. Heute gilt viel mehr das Ich, als das Wir. Dabei ist es gerade das Wir, das uns in unserer über 700-jährigen Geschichte stark gemacht hat. 

Wir bilden in mehrfacher Hinsicht eine Willensnation. Politisch, in dem wir uns immer wieder zusammenraufen und Lösungen suchen. Wir haben kein Regierungs- und Oppositionssystem. Die Mehrheiten kommen immer wieder in neuen Konstellationen zustande und am Schluss hängt das Damoklesschwert des Volksverdikts über den politischen Akteuren. Das ist gut so, denn nur so wird die Politik nicht übermütig.

Wir sind sprachlich und kulturell eine Willensnation. Vier Landessprachen prägen unsere Kultur und wir sind darauf bedacht, diese zu erhalten.

Wir bilden aber auch bezüglich der Religionen eine Willensnation. Verschiedene Religionen haben nebeneinander Platz. Das entspricht auch unserer christlich geprägten Kultur. Unsere Kultur lädt uns ein, das Gegenüber unabhängig von seiner Herkunft als Mensch zu erkennen und seine Würde zu wahren.

Dieses Jahr feiern wir 500 Jahre Reformation. Die Reformation hat die Türen geöffnet für ein kirchliches Leben, zu dem alle und ohne Vorbehalte eingeladen sind, an dessen Weiterentwicklung mitzuwirken. So, wie wir es am Buss- und Bettag tun, so, wie wir es mit der Anerkennung der katholischen Kirche vor bald 60 Jahren gezeigt haben und so, wie wir es mit der Anerkennung der jüdischen Gemeinden vor ein paar Jahren gemacht haben. Die Gemeinschaft steht im Zentrum. Der Religionsfrieden ist bei uns heute eine Selbstverständlichkeit. Die drei anerkannten christlichen Kirchen – die reformierte Landeskirche, die katholische Körperschaft und die christkatholische Kirche, aber auch die Anerkennung der beiden jüdischen Gemeinschaften ist sichtbares Zeugnis davon.

Der eidgenössische Buss- und Bettag hat etwas Verbindendes. Er verbindet zum einen die Politik mit der Kirche, mit den Religionen. Der Buss- und Bettag verbindet aber auch die Konfessionen. Das zusammen gibt ein Bild der Solidarität, dem vor exakt 500 Jahren bereits Zwingli begonnen hat, sich anzunehmen. Zwingli begann damals mit Traditionen zu brechen. Er predigte gegen alles in seinen Augen "Nichtbiblische" wie Verehrung von Bildern, Reliquien und Heiligen. Er engagierte sich gegen den Zölibat. 1522 legte er sich endgültig mit dem Bischof von Konstanz und dem Papst an.

Zwingli nahm sich aber gleichzeitig der Armut und einem verantwortungsvollen Umgang mit der Armut im damaligen Zürich an. Bereits 1525 gab es eine Almosenordnung. Der Christ gibt aus Dankbarkeit.    

Der eidgenössische Buss- und Bettag hat nicht nur etwas Verbindendes. Er erinnert uns an den Gedanken der Solidarität. Der Begriff der Solidarität – solidus auf Lateinisch – bedeutet „echt“, „fest“ Er bezeichnet eine zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Solidarität drückt ferner den Zusammenhalt für gemeinsame Werte aus. Der Eidgenössische Buss- und Bettag ist auch ein Tag der Solidarität. Wir sind heute in dieser Kirche zusammengekommen, weil wir gemeinsame Werte pflegen und uns mit der Kirche verbunden fühlen. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist in der Schweiz und auch im Kanton Zürich nicht immer unumstritten gewesen. Das bringt der politische Diskurs so mit sich. Anerkannt ist aber, dass sich die Kirchen und die Konfessionen für Solidarität einsetzen. Und so ist es auch Zeit, danke zu sagen.   

Die Verfassung des Kantons Zürich anerkennt fünf Religionsgemeinschaften. Dazu gehören die Evangelisch-reformierte Landeskirche, die Römisch-katholische Körperschaft, die Christkatholische Kirchgemeinde, die Israelitische Cultusgemeinde und die Jüdische Liberale Gemeinde. Sie stehen selten im Fokus, haben aber im politischen Alltag des Kantons einen festen Platz. Jährlich nimmt der Kantonsrat die Jahresberichte ab und würdigt ihre Leistungen, die weit über das Spirituelle hinausgehen. Für die Politik zentral ist vor allem das breite gesellschaftliche Engagement in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur. Der Kantonsrat anerkennt diese Leistungen und hat vergangenes Jahre für die Jahre 2020 bis 2025 im Sinne einer Abgeltung einen Rahmenkredit von insgesamt 300 Millionen Franken gesprochen. Die erbrachten Leistungen der Kirchen und Konfessionen gehen aber weit darüber hinaus. Es ist Zeit, den Religionsgemeinschaften für ihre vielfältigen Engagements danke zu sagen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Buss- und Bettag.

Dieter Kläy, Kantonsratspräsident