Dieter Kläy
Dieter Kläy

Tempo 30 umfassend beurteilen

21.02.2022

Der Gastbeitrag von Baudirektor Martin Neukom trägt wenig zur De-Ideologisierung der Tempo 30 Frage bei. Die finanziellen Folgen für den öffentlichen Verkehr werden geflissentlich ausgeblendet. Es ist unbestritten und vom Zürcher Regierungsrat bestätigt, dass die Einführung von Tempo 30 ohne Kompensationsmassnahmen zu mutmasslichen Fahrzeitverlängerungen führt. Für die Beibehaltung der bestehenden Fahrpläne werden zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt werden müssen, was aber wiederum zu einer Abnahme der Wirtschaftlichkeit des ÖV-Angebots führt. Die Kostenunterdeckung des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV) steigt. Die Städte, die flächendeckend Tempo 30 wollen, fordern vom Kanton die Übernahme ihrer ÖV-Mehrkosten in Millionenhöhe.

Dass der medizinische Notfall kein Tempo 30 kennt, wird ebenfalls nicht in Betracht gezogen. Bei einer weitgehenden Einführung von Tempo 30 ist mit einer Verlängerung der Einsatzzeiten der Blaulichtorganisationen (Polizei, Feuerwehr und Sanität) zu rechnen, schreibt der Zürcher Regierungsrat klipp und klar auf einen Vorstoss im Kantonsrat. Namentlich dort, wo die Strassen umgestaltet werden und so Fahrten mit schweren Feuerwehr- und Rettungsautos behindert würden. Bis zu 5 Minuten später dürften Brandbekämpfer am Einsatzort eintreffen, bilanziert die kantonale Sicherheitsdirektion. Die minimale Vorgabe, dass die Feuerwehr in dicht besiedeltem Gebiet zehn Minuten nach der Alarmierung auf dem Schadenplatz eintreffen muss, könnte bei rund 30 Prozent aller dringlichen Einsätze gar nicht mehr erreicht werden. Deutlich negativ fällt die Bilanz auch bei den Rettungsdiensten aus. Bei Atem- und Herzstillstand zählt bekanntlich jede Minute.

Die Tempo 30 Diskussion hat wegen dem Anspruch einer flächendeckenden Einführung den Charakter eines Glaubenskriegs bekommen. Mit der Temporeduktion auf 30 km/h in den Wohnquartieren wurde bei der Einführung dieser Massnahme vor ca. 30 Jahren angestrebt, den Verkehr auf die Hauptverkehrsachsen zu kanalisieren, damit er dort möglichst ungehindert fliessen kann. Die Strategie einzelner Städte, neu flächendeckend Tempo 30 einzuführen, widerspricht der Strategie der Kanalisierung auf die Hauptachsen. Es geht nicht mehr darum, den Verkehr möglichst hindernisfrei abwickeln zu können, sondern es geht darum, ihn möglichst aus der Stadt rauszuhalten.

Dieter Kläy, Kantonsrat (FDP), Winterthur