Verzweifelter Griff in die Mottenkisten
21.10.2022
Nach dem Frust über die verlorene AHV-Abstimmung am 25. September 2022 holen rot-grüne Parlamentarierinnen alte Forderung wie ein nationaler Mindestlohn aus der Mottenkiste. Auch die Lohngleichheitsanalyse und andere Ende September lancierte Kompensationsmassnahmen sind alles andere als neu.
Im Lager der Verliererinnen und Verlierer der AHV-Abstimmung von Ende September 2022 muss die Verzweiflung gross sein. Die vermeintliche Ungleichbehandlung von Mann und Frau durch die Stimmbevölkerung – ab 2028 wird das Referenzalter für Männer und Frauen auf 65 Jahre harmonisiert – soll durch eine Reihe von Massnahmen kompensiert werden, die schon vor Jahren diskutiert und abgelehnt worden sind. Zwar wurde bereits bei der Einführung der AHV im Jahre 1948 das Rentenalter geschlechtsneutral bei 65 Jahren festgesetzt. Erst um 1960 herum senkte man das Frauenrentenalter auf 62 Jahre, was angesichts der damaligen grossen Einnahmeüberschüsse problemlos finanzierbar war. Doch daran wollen sich jene, die jetzt nach Kompensationen rufen, heute nicht mehr erinnern.
Mindestlohn 2014 gescheitert
Mit über 76% der Stimmen ist vor acht Jahren die Mindestlohninitiative verworfen worden. Ein klares Zeichen, müsste man meinen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Forderung wieder auf den Tisch kommt. Mindestens 4000 Franken soll der Mindestlohn betragen. Die Festsetzung der Löhne ist nicht Aufgabe des Staates, sondern Sache der Unternehmerinnen und Unternehmer, ihrer Mitarbeitenden und der Sozialpartner. Nicht sozialpartnerschaftlich ausgehandelte Mindestlöhne untergraben die Sozialpartnerschaft.
Bewährtes System schwächen?
Heute sind 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insbesondere in Niedriglohnbranchen Gesamtarbeitsverträgen unterstellt. Mindestlöhne im privaten Dienstleistungssektor wurden in den letzten Jahren entweder angehoben oder neu ausgehandelt. Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Anzahl vom Bundesrat oder von kantonalen Regierungsräten erteilten Allgemeinverbindlicherklärungen von Gesamtarbeitsverträgen (ave GAV) deutlich zugenommen: Von etwas weniger als 20 ave GAV auf 74 im Jahr 2019. Auf Bundesebene sind über eine Million Arbeitnehmende einem ave GAV unterstellt. Das ist ein klarer Indikator, dass die Sozialpartnerschaft an Bedeutung gewinnt und ohne staatliche Einmischung funktioniert. Mindestlohninitiativen schwächen das bewährte System. Diktiert der Staat einen fixen Mindestlohn in den Unternehmen, muss er diesen auch kontrollieren und durchsetzen. Solche Kontrollen führen zu Mehraufwand und Leerläufen. Die KMU werden mit zusätzlichen Statistiken, Umfragen und Kontrollen belastet. Der Schweizerische Gewerbeverband lehnt das ab.
Lohngleichheitsanalysen und...
Vermeintlich neu gestellte Forderungen wie Lohnpranger, Lohngleichheitsanalysen bereits bei Unternehmen mit 50 Mitarbeitenden oder weniger etc. sind alles andere als neu. Gerade die Lohngleichheitsanalyse ab 50 Mitarbeitenden ist in der jüngsten Vergangenheit gleich zweimal gescheitert. 2015/2016 wollte der Bundesrat mit der Revision des Gleichstellungsgesetzes Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden zwingen, den Nachweis der Lohngleichheit zu erbringen. Der sgv lehnte das Ansinnen bereits in der Vernehmlassung ab. In der parlamentarischen Beratung 2017 setzte sich die Mindestgrenze von 100 Mitarbeitenden durch. Das hielt die SP allerdings nicht davon ab, per Vorstoss 2019 wieder die Einführung der 50-er Grenze zu fordern. Eine parlamentarische Initiative des damaligen Nationalrates Mathias Reynard (SP, VS) wurde versenkt, wie auch andere Vorstösse, die schwarze Listen und Sanktionen forderten. Innert 7 Jahren kommt das Anliegen nun zum dritten Mal auf den Tisch. Ende September 2022 ist eine parlamentarische Initiative eingereicht worden, die eine Lohnanalyse bei Betrieben «ab mehreren Mitarbeitenden» fordert. Ebenfalls ist ein Vorstoss eingereicht, der die Grenze von 50 Mitarbeitenden wieder zum Massstab nimmt. Das dies sachlich keinen Sinn ergibt, da in Klein- und Kleinstbetrieben kaum Jobs vorhanden sind, die gleichzeitig von Mann und Frau ausgeübt werden und die sich auch noch inhaltlich vergleichen lassen, spielt den Verfasserinnen und Verfassern der Vorstösse keine Rolle.
...35-Stundenwoche
Nationale Mindestlöhne und lohnpolizeiliche Massnahmen reichen aber nicht. Nur noch 35 Stunden soll pro Woche gearbeitet werden, natürlich zum vollen Lohn. Die Liste der sozialromantischen Forderungen kennt keine Grenze. Sie lässt sich einfach ergänzen, wenn man als Mitglied des Nationalrates jährlich rund 130'000 Franken kassiert.
In genau einem Jahr sind Gesamterneuerungswahlen von National- und Ständerat. Die Gelegenheit etwas zu verändern.
Dieter Kläy, Ressortleiter